papillons

2007-08

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Papillons

Fotografien von Thomas Zika

Die Partnerbörse neu.de zeigt auf einem ihrer Werbeplakate[1] das Motiv einer jungen Frau, die von Schmetterlingen umflattert wird – möglicherweise, weil wir umgangssprachlich den Zustand des Verliebtseins mit dem Gefühl umschreiben, „Schmetterlinge im Bauch“ zu haben. Die Verwendung dieses Sprachbildes geht wohl auf kulturgeschichtlich sehr viel ältere Vorstellungen zurück, dass Schmetterlinge als Zeichen der aus dem Körper befreiten Seele gelten: im alten Griechenland wurde das Wort ψυχή (psyche) (wörtlich: Hauch, Atem, Seele) auch als Bezeichnung für das Insekt benutzt; folglich erschien auf bildlichen Darstellungen die Seele eines Verstorbenen häufig mit Schmetterlingsflügeln ausgestattet.

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Auch die christliche Ikonographie sah (z.B. auf einigen Grabsteinen aus der Zeit der Romantik) im Schmetterling ein Auferstehungssymbol, vor allem wegen der charakteristischen Metamorphose (Verwandlung), die jedes einzelne Tier in seiner morphologischen Entwicklung durchläuft. Über die eher unansehnlichen Stadien von Ei, Nymphe, Larve und Puppe gelangt es zur Imago: in diesem letzten Stadium wird die eigentliche Erscheinungsform des Individuums buchstäblich Bild.

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Ihre Verwandlung, ihre bildhafte Schönheit und flüchtiges Flattern mögen seit alters die Attraktivität von Schmetterlingen ausgemacht und in Menschen den Wunsch geweckt haben, die Vergänglichkeit der zarten Insekten auf Dauer zu stellen. Wie anders wäre die Sammelwut professioneller und passionierter Eiferer zu erklären, die hüpfend jenen farbenfrohen Gesellen nachstellen, um sie wohlpräpariert auf Nadeln zu spießen und unter das Glas nüchterner Schaukästen zu bannen?

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Die Jagd nach seltenen Arten, der Triumph der Exklusivität, eine besondere Species entdeckt zu haben, dürften allerdings neben dem Bedürfnis nach Schönheit und Ordnung sowie der scheinbaren Überwindung des Todes durch die Konservierung weitere Beweggründe für das Sammelverhalten abgeben.

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Sammeln und Ausstellen gehören zweifellos zu den ältesten kulturgeschichtlichen Praktiken, den Weltbestand im sinnlichen Staunen und Bewundern anzueignen. Hinsichtlich Ästhetik und Systematik erreichten hier die Kunst- und Wunderkammern der Frühen Neuzeit und des Barock einen Höhepunkt.

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Fürsten und wohlhabenden Bürger vereinigten in gemeinsamen Präsentationen Gegenstände der bildenden Kunst, etwa kleinformatige Gemälde, ganz selbstverständlich mit Präparaten der Naturbeobachtung, z.B. eingelegten Mißgeburten, Walgenitalien oder Schildkrötenpanzern mit umgestalteten Fundstücken wie Nautiluspokalen oder Magensteinen, die als Mittel gegen Melancholie geschätzt wurden. Das enzyklopädische Nebeneinander des Kostbaren wie des Kuriosen, kunstgewerblicher Artefakte und eingemachter Naturalien realisierte den Anspruch auf universelle Bildung.

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Die Schaukästen von Schmetterlingssammlern erscheinen gleichermaßen kurios wie kostbar, schön wie schaurig, bildhaft wie dokumentarisch. Vor allem lassen sie den Begriff des Bildes auf mehreren Ebenen bedenken: Mit Glas und Rahmen erfüllen die Schaukästen visuelle Merkmale eines Bildes; sie stellen jedoch nicht etwas dar, sondern sie enthalten Gegenstände, die sich durch ihren Körper selbst in einer Weise zur Anschauung bringen, dass diese Körper in der Zoologie – wie bereits erwähnt – Imagines (= Bilder!) genannt werden. Die Schmetterlinge sind sich selbst ihr eigenes Bild (hier: im Bilderrahmen!).

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Der Essener Fotograf Thomas Zika fügt dem in seiner Werkgruppe Papillons eine weitere Ebene hinzu: er bildet – im Lichtbild – diese Bilder ab. Die annähernd natürliche Größe der Wiedergabe[2] und die Präsentation unter Plexiglas erzeugen in der Galeriehängung einen Trompe-l’oeil Effekt: auf den ersten Blick meint man, vor den fotografisch dargestellten Objekten selbst zu stehen.

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Damit wird nicht nur die mythisch-historisch zentrale Frage des Künstlertums vergegenwärtigt (ich erinnere hier an die antike Anekdote, derzufolge der griechische Maler Zeuxis Trauben darstellte, nach denen Vögel pickten, während er selbst der Täuschung durch seinen Kollegen Parrhasios aufsaß: dieser hatte vor ein Bild einen Vorhang gemalt, den Zeuxis beiseite zu schieben versuchte). Überdies scheinen sich Sinn, Möglichkeiten und Grenzen des Mediums Fotografie selbst zur Darstellung zu bringen. Weiterhin wird das Genre des Stillebens, zumal unter der französischen Bezeichnung Nature morte (tote Natur), im technischen Bild aktualisiert.

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Die serielle Gesamtpräsentation der Werkgruppe bildet das Zeigeschema einer auf Vollständigkeit erpichten Sammlung durchaus ab; verschoben und verändert ist jedoch der Wahrnehmungskontext: Während wir die fotografischen Arbeiten von Thomas Zika ohne weiteres als „Kunst“ betrachten, würden wir uns den dargestellten Originalgegenständen mit der Neugier (curiositas!) naturwissenschaftlichen Interesses oder auch dem unmittelbaren Vergnügen an stupenden Farben und Formen genähert haben. So scheinen sich Kunst und Wissenschaft im vergleichenden Anschauen hier wie dort zu berühren.

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Kunst erschöpft sich allerdings nicht (zumal, seit ihre Abbildfunktion im 19. Jahrhundert im weitesten Sinne – wenngleich nur vermeintlich – an die Fotografie abgetreten wurde) in der optisch korrekten Wiedergabe von Sachgegenständen und sogenannter „Wirklichkeit“. Bei genauem Hinsehen entpuppen sich auch die Fotografien von Thomas Zika als idealisierend und über die „Wirklichkeit“ hinaus gehend: digital wurden Farb- und Kontrastwirkung gesteigert, ursprüngliche Verschmutzungen in den Schaukästen retuschiert.

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Das formale Prinzip der Serialität ist nicht erst seit Andy Warhol, der in den 1950er Jahren selbst einige butterflies printete, in der Kunst angekommen; Zikas Papillons demonstrieren Serialität in der Hängung als auch in den Bildgegenständen selbst, denn die Schmetterlinge sind in ihren Kästen nach Gattung, Herkunft und Geschlecht gereiht; vor allem wenn sehr zahlreiche Exemplare derselben Art montiert wurden, ergeben sich bisweilen malerische allover-Effekte – allerdings auch scheinbar rätselhaft chiffrierte Grammatiken, wo die Schmetterlingslineaturen durch Lücken unterbrochen werden: gerade in diesen (von weitem betrachtet) layout-ähnlichen Gestaltmustern entstehen Oszillationsfiguren zwischen Konkretion und Abstraktion. Tatsächlich bleiben die Kompositionsstrategien der originalen Schaukästen dem betrachtenden Laien letzten Endes unverständlich.

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Versteh- und lesbar sind sie, wenn überhaupt, als biographische Spuren des Sammlers, der seine Fänge auf europaweiten Reisen tätigte, die sich dank der Notation der Herkunftsorte nachvollziehen lassen. Im vorliegenden Falle handelte es sich beim Sammler um Franz Peter Zika[3], den Vater des Fotografen. Und so werden die Fotografien der Schaukästen nicht zuletzt zu einer autobiographischen Erinnerung des Künstlers selbst, der dem Vater auf ebenjenen Reisen assistierte. Verblüffend ähnliche Erinnerungen und Empfindungen, wie sie Thomas Zika (bis heute!) bewegten, schildert der Ich-Erzähler im Roman Der Schmetterlingssammler des finnischen Autors Joel Haahtela: „Als Kind war ich manchmal spätabends mit einer Lampe in den Garten geschlichen und hatte im Flieder nach Faltern gesucht. […] Um der Sache auf den Grund zu gehen, erhaschte ich sie mit meinem selbst gebastelten Käscher, sperrte sie in ein Glas mit giftgetränkter Watte und beobachtete mit kindlicher Grausamkeit, wie die Flügelschläge sich verlangsamten und schließlich erstarben. […] Noch Jahre später fand ich Weinschwärmer in alten Schulheften: die Farben verblichen, der schöne rosa Streifen von den Flügeln verschwunden. Jedes Mal wünschte ich, die Welt wäre anders, und der Schmetterling könnte beim Öffnen des Hefts in die Luft steigen und zurück in seinen Flieder flattern.“[4]

Und hier kommt der Fotografie im Allgemeinen und den Papillons im besonderen die Aufgabe zu, Erinnerung und Beweis zu sein.

Der Slogan des Werbeplakats von neu.de lautet übrigens: „Hier verliebt man sich“. Meine Schmetterlinge im Bauch stammen allerdings woanders her.

Anna Zika


[1] Zuletzt gesehen am 10.09.08.

[2] mit Ausnahme von xx Motiven, die um das xfache vergrößert sind.

[3] Die Sammlung F.P. Zika umfasst etwa 70 Kästen mit überwiegend europäischen Tag- und Nachtfaltern.

[4] Joel Haahtela, Der Schmetterlingssammler, dt. München 2008, S. 25f.

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exhibition view: „papillons“ at Gallery Obrist, Essen 04/10

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exhibition view: papillons at „Diasec“ group exhibition at Gallery Van Kranendonk, The Hague, Netherlands 10/08

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Fotos copyright: Jurriaan van Kranendonk

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